Stein des Anstosses: Die Russen hätten am liebsten Evgeny Malkin zurück. Foto: Thomas Oswald (auf Bild klicken für MMS)





Wird aus einer Ente ein Transferkrieg?

Von Martin Merk

Der "Toronto Star" berichtete letzte Woche von einer Traumofferte über 12,5 Millionen Dollar steuerfrei aus Russland für Evgeny Malkin. Selbst wenn sich das Gerücht nicht bewahrheiten wird, hat es sehr viel Staub aufgewirbelt und die Fronten im internationalen Club-Eishockey zu einer Art kalten Krieg verhärtet.

Mit knapp einer Million Dollar Salär muss sich Malkin bei den Pittsburgh begnügen bis zum Ablauf seines Vertrages in einem Jahr. Eine Offerte über 12,5 Millionen Dollar steuerfrei soll er aus seiner Heimat Russland erhalten haben, womit er der bestbezahlteste Eishockey-Spieler werden könnte, falls er seinen Vertrag in der NHL bricht. Dies behauptete zumindest die Zeitung "Toronto Star" letzten Freitag und beruft sich dabei auf einen nicht genannt werden wollenden Offiziellen der neuen russischen Liga KHL.

Ungesundes Selbstvertrauen in Russland?

Existiert die Offerte tatsächlich? Sein Agent J. P. Barry bestätigte Anfragen, Malkin liess aber klarstellen, dass er einzig in der NHL spielen möchte. Trotzdem beherrschen das Gerücht und die Folgen die Medien in Nordamerika und Russland seit Tagen. Gut möglich, dass das Gerücht bloss gestreut wurde als ein Mittel zum "kalten Krieg" der Eishockey-Mächte. Denn im aufstrebenden Russland ist die Praxis der NHL, die besten Spieler zu sich zu locken, schon länger ein Dorn im Auge. Das Selbstvertrauen nach dem Gewinn der Eishockey-WM, des UEFA Cup, der Basketball-EM, dem Eurovision Song Contest und dem Erfolg an der laufenden Fussball-EM lässt das Selbstvertrauen und den Nationalstolz in ungeahnte Höhen schweben. Die neue Kontinentalnaja Hokkejnaja Liga (KHL) hat mit Parolen wie "Wir werden besser als die NHL" vor geraumer Zeit zum Kampf geblasen. Russland sieht sich als ein anderes Land als ein paar Jahre zuvor, als man in vielen grossen Sportarten erfolglos war und höchstens Tennisspielerinnen aus optischen Gründen auffielen.

Metallurgs Kriegserklärung an die NHL

Doch wer sollte Malkin so viel offerieren? Der Verdacht fiel auf seinen Ex-Club, Europas Clubmeister Metallurg Magnitogorsk. Dessen Manager Gennady Welitschkin dementiert dies zumindest nicht und schiesst mit seinen Aussagen im "Sowjetskij Sport" scharf gegen die NHL. Grund: 2006 wurde Malkin von den Pittsburgh Penguins in die NHL gelockt, obwohl er für diesen Zeitraum bei Metallurg verlängert hatte. In Russland trägt man dies und andere Fälle bis heute als Spieler-Diebstahl nach. In Nordamerika ist man sich keiner Schuld bewusst. Malkin hatte seinen Vertrag in Russland nach russischem Arbeitsrecht (mittlerweile für Sportler angepasst...) formell korrekt aufgelöst und war für Pittsburgh damit vertragslos. Bemühungen von Metallurg Magnitogorsk vor Gerichten blieben deswegen auch ohne Erfolg.

Die russische Hockey-Seele ist trotzdem angeschlagen und erbost. "Nicht nur Metallurg, ich denke auch andere KHL-Clubs sind bereit Spieler wie Malkin, Ovechkin und Gonchar zu holen. Wir können ihnen bessere Gehälter zahlen als sie es auf der anderen Seite des Ozeans erhalten", gibt sich Welitschkin laut und deutlich. Über Verträge in der NHL schert er sich nicht. "Ich kann schon die Worte vom NHL-Commissioner Gary Bettman hören: 'Lasst uns die Verträge gegenseitig respektieren!' Genau dies wollten wir vor einigen Jahren. Bettman wollte uns nicht treffen, nun ist es zu spät. Die Zeit ist gekommen, um die Rechnungen zu begleichen..." so Welitschkins Kriegserklärung an die NHL.

Russische Top-Spieler halten wenig von der KHL

Die Realität sieht jedoch nicht so aus, wie von den Russen erhofft. Die KHL-Clubs können aus ihrem operativen Geschäft nicht einmal soviel Geld generieren wie Topclubs in der Schweiz, Deutschland, Finnland oder Schweden, geschweige denn wie in der NHL. Die Clubs sind vom Wohlwollen der industriellen Oligarchen oder der lokalen Regierungen abhängig, wo durch die steigenden Rohstoff-Preise zweifellos immer mehr Geld vorhanden ist. Waren diese an Bord, gab es Budgets von bis zu 80 Millionen Dollar. Umgekehrt gab es in den vergangenen Jahren Superliga-Clubs, welche verlassen wurden und mit einem Umsatz von rund 2 Millionen Dollar zum Rückzug bliesen - zum Vergleich, die Lohnuntergrenze in der neuen KHL beträgt 10 Millionen Dollar. Viele russischen Stars spielen lieber für weniger Geld in der professionelleren NHL, welche sportlich attraktiver ist und in deren Städte ein gewisser Wohlstand herrscht. Nicht nur Malkin erteilte der NHL eine Absage, sondern jüngst auch der als Nummer 6 von den Columbus Blue Jackets gedraftete Nikita Filatov vom ZSKA Moskau. "Ich habe Amerika gewählt und werde unter keinen Umständen in die KHL zurückkehren. Selbst nicht, wenn ich in Farmteams oder Juniorenteams beginnen muss", wird das 18-jährige Stürmertalent im "Sowjetskij Sport" zitiert.

Drohende Worte Fasels nach Russland

Auch die IIHF liess nicht mit einer Antwort zu den Unstimmigkeiten zwischen den Eishockey-Grossmächten warten. Sie liess mitteilen, dass man mit der NHL eine Vereinbarung habe, nach dem Nicht-Zustandekommen eines neuen Transferabkommens die Verträge gegenseitig zu respektieren, sofern sie nicht durch Klauseln aufgelöst werden können. "Wir würden die Verpflichtung eines Spielers unter Vertrag von eine der beiden Seiten als ein Bruch der Vereinbarung und der existierenden Prinzipien sehen", teilte der IIHF-Präsident René Fasel nordamerikanischen Medien mit. Dabei drohte er auch mit dem Ausschluss von Verbänden, welche dies zuliessen, von internationalen Wettbewerben wie die Champions Hockey League, die WM oder die Olympischen Spielen. In Russland ist man über das Statement erbost, in Internet-Umfragen russischer Medien wird gar Fasels Absetzung gefordert.

Annäherung in der Stadt der Liebe?

Eine Abkühlung der Krise könnte ein geplantes Treffen Anfang Juli in Paris zwischen Vertretern der NHL und der europäischen Verbänden unter Vermittlung der IIHF bringen. Am Dienstag schickte die NHL einen entsprechenden Entwurf nach Moskau. "Wir hoffen auf gute Resultate", sagt der KHL-Präsident und IIHF-Vizepräsident Alexander Medwedew gegenüber russischen Medien, "aber man sollte nicht vergessen, wie die NHL früher auf unsere Verträge gespuckt hat. Wir bevorzugen jedoch eine Kooperation statt einen Konflikt. Aber wenn die Amerikaner das Kriegsbeil werfen, werden wir eine passende Antwort finden."

Die Russen wollen vom alten Transferabkommen mit 200'000 Dollar Entschädigung für jeden Spieler, ob mit oder ohne weiterlaufenden Vertrag, seit 2006 nichts mehr wissen und fanden das Vorbild im Fussball. Geträumt wird von individuellen Ablösesummen in anderen Sphären. Wie etwa die zwei Millionen Dollar Ablöse, welche Metallurg Magnitogorsk von den Pittsburgh Penguins vergeblich gefordert hatte.

Ziel scheint es zu sein, als ein Übergang während der Saison 2008/09 ohne Transferabkommen, den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den Ligen zu finden. Dies könnte ein zu ratifizierendes Dokument sein, wonach man die Verträge gegenseitig respektiert. Die Russen und einige andere Verbände stellen dabei weitere Forderungen: Spieler unter 21 Jahren dürfen nicht von Europa nach Nordamerika wechseln (oder beidseitig nicht wechseln). Die Russen argumentieren, wie auch eine IIHF-Studie, dass Spieler, die nicht schon früh bereits für die NHL sind wie einige wenige Ausnahmetalente, sich besser in ihrer Heimat entwickeln und später in die NHL wechseln. Spieler wie die Schweizer Martin Gerber, Jonas Hiller und Mark Streit sind gute Beispiele hierfür.

Russen treiben Löhne in die Höhe

Selbst wenn die NHL die KHL derzeit als "keine Bedrohung" betitelt, so wird sie zumindest die steigende Lohnspirale zu spüren bekommen durch die lukrativen Offerten der KHL-Clubs. Die Liga wird anfangs September mit 24 Teams an den Start gehen, darunter 21 aus Russland sowie je eines aus Lettland, Kasachstan und Weissrussland. Fünf Ausländer dürfen pro Club eingesetzt werden, wobei Torhüter doppelt zählen. Für 2009/10 werden weitere Teams gelockt, angeblich aus Finnland, Deutschland, Österreich, Schweden und der Ukraine, auch wenn Zweifel angebracht sind, ob Clubs aus Westeuropa wirklich so viel Interesse an einer Teilnahme haben, wie von den Russen behauptet. Die steigende Lohnspirale bekommen die Clubs in Westeuropa jedoch bereits jetzt zu spüren. Aus Finnland und Schweden sind mehrere Stars in die KHL abgewandert. Und kleinere Clubs auf Ausländersuche wie etwa der EHC Biel oder mehrere DEL-Clubs beklagen sich, dass gute Ausländer kaum mehr zu vernünftigen Preisen zu haben seien wegen den Russen.