Die Chancen der Legionäre

Von Martin Merk

Am Montag begannen in der NHL die Camps. 20 Spieler werden beim Saisonstart pro Team auf dem Matchblatt sein, doppelt so viele machen sich in den Camps Hoffnungen. hockeyfans.ch wagt einen Ausblick über die Grenzen zu den Schweizern in Nordamerika und im europäischen Ausland.

Die Nordamerika-Profis

Andres Ambühl (New York Rangers)

Die Ankündigung aus New York kam wie aus dem Nichts. Andres Ambühl unterschrieb im Mai bei einem der berühmtesten Eishockey-Teams der Welt. Seinen Platz in der Organisation der New York Rangers hat er damit auf sicher, selbst wenn das Risiko da ist, dass er mit seinem Zweiweg-Vertrag ins AHL-Team Hartford Wolf Pack abgeschoben werden könnte, was bei einer Distanz von 160 Kilometern nordwärts aber relativ gnädig ist. Doch Ambühl könnte NHL-Kaliber haben, wenn er sich denn durchbeisst und als Musterprofi zeigt. Nicht umsonst setzte der Nationaltrainer Ralph Krueger dermassen auf ihn, selbst wenn jenem im Boulevard Anti-HCD-Reflexe nachgesagt werden. Ambühl verkörpert Kruegers kanadischen Stil, den er mit der neuen Generation immer mehr eingebracht hat: komplette, physische Spieler, welche an Weltmeisterschaften und Olympiaden auch gegen Teams voller NHL-Stars bestehen können. Auszuschliessen ist damit nichts, auch nicht, dass es Ambühl auf Anhieb schaffen könnte.

Jonas Hiller (Anaheim Ducks)

Auch wenn Mark Streit mehr Poster und Titelbilder von Videospielen zieren mag als Jonas Hiller, so hat der Appenzeller ebenfalls eine äusserst bemerkenswerte Saison hinter sich. Die Erfahrungen mit David Aebischer und Martin Gerber zeigen, dass man vorsichtig sein muss, bei Goalies vom NHL-Durchbruch zu sprechen, doch die vergangene Saison sah bis auf Weiteres einem Durchbruch mehr als ähnlich. Nach seinem Meistertitel in Davos 2007 bekam er bei den Anaheim Ducks auf Anhieb viel Eiszeit zugestanden. In seinem zweiten Jahr konnte er gar mehr und mehr den Starkeeper Jean-Sébastien Giguère dank seiner hervorragenden Leistungen verdrängen. In der regulären Saison hatte er ihn an Eiszeit knapp überholt, in den Playoffs war Hiller der Mann im Ententor. Ob ihm wieder eine so starke Saison gelingt, wird aber nicht nur vom Schweizer abhängen, sondern auch von Giguère und unter Umständen winzigen Details im Formstand dieser beiden starken Torhüter.

Robert Mayer (Montréal Canadiens)

Die Verpflichtung des ehemaligen Kloten-Goalies Robert Mayer durch die Montréal Canadiens kam vor einem Jahr eher überraschend. Der 19-Jährige hatte erst gerade seine erste Saison mit dem Juniorenteam Saint John Sea Dogs (QMJHL) beendet und kam beim Liganeuling nicht auf die besten Werte. Diese wurden in seiner zweiten Saison mit 90 Prozent aber besser. Nun ist seine Juniorenzeit wohl abgelaufen, denn die Sea Dogs haben bereits zwei Ausländer und zwei Torhüter. Mayer landet so ins kalte Wasser des Profi-Eishockeys und ist diese Saison auch für die AHL spielberechtigt. Die NHL-Plätze bei den Torhütern sind vergeben und es würde überraschen, falls Montréal ihn in mehr als bloss Vorsaison-Spielen einsetzen würde. Seine Zukunft dürfte vorerst beim AHL-Team Hamilton Bulldogs oder eine Stufe tiefer bei den Cincinnati Cyclones (ECHL) liegen. Der Verdrängungskampf ist hart und Mayer wird viel zeigen müssen, um zumindest viel AHL-Eiszeit zu erhalten. Dies dürfte für sein erstes Profi-Jahr Mayers realistisches Ziel sein.

Luca Sbisa (Anaheim Ducks)

Es heisst, dass es als Neuling für NHL-Einsätze oft nicht nur Können braucht, sondern man muss auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Einige Schweizer waren dies nicht, Sbisa dagegen schon. Ursprünglich nicht in den Plänen für den NHL-Saisonstart, kam der Zuger durch Verletzungspech anderer ins Team und zeigte sich von seiner überzeugenden Seite mit viel Reife für einen damals 18-Jährigen. So brachte er es zu 40 NHL-Spielen, 2 AHL-Spielen und 29 Spielen in der Juniorenliga WHL in der vergangenen Saison. Um Chris Pronger zu kriegen, gaben die Philadelphia Flyers aber schweren Herzens Sbisa an die Anaheim Ducks ab. Für Sbisa beginnt damit der Verdrängungskampf von vorne und alles ist somit wieder möglich. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Der Trainer Randy Carlyle wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Will er auf den mit Abstand jüngsten Verteidiger seiner Salärliste setzen? Im Kader stehen samt Sbisa neun Spieler, die letzte Saison zu Dutzenden von NHL-Partien kamen. Drei von ihnen werden beim Saisonstart nicht mit den Ducks auf dem Eis stehen.

Juraj Simek (Tampa Bay Lightning)

Der schweizerisch-slowakische Stürmer Juraj Simek geht in seine vierte Saison in Nordamerika. Und in sein drittes und letztes NHL-Vertragsjahr. Tampa Bay hatte vor einem Jahr seinen Vertrag von den Vancouver Canucks übernommen, wo man nicht so wirklich auf den 21-Jährigen setzte. Nachdem er letztes Jahr nach dem Transfer direkt ins Farmteam geschickt wurde, wird es für Simek die erste Teilnahme am Camp von Tampa Bay Lightning, wo es zwischenmenschlich besser zu laufen scheint. Es könnte ein wegweisendes Camp sein für Simek, der unter den 19 Kaderstürmern gelistet ist. Seine AHL-Werte reichten bislang nicht für einen Rückruf aus der NHL mitten in der Saison. Bei den Norfolk Admirals war er die Nummer elf in der Scorerliste. Die einmalige Möglichkeit, den Trainern NHL-Tauglichkeit unter Beweis zu stellen, bietet sich damit im NHL-Camp und den Vorbereitungsspielen an. Sollte es erneut nicht klappen und auch Fortschritte in der AHL ausbleiben, könnte eine Weiterentwicklung in Europa mehr Sinn für Simeks Karriere machen.

Daniel Steiner (Columbus Blue Jackets)

Daniel Steiner hat bislang international für wenig Aufsehen gesorgt. Trotz teilweise guter Scorerwerte passte der entfesselte Offensivkünstler nicht ins taktische Konzept des Nationaltrainers. Dass er es nun ausgerechnet beim Strategiefanatiker Ken Hitchkock in die NHL schaffen würde, käme dem Wunder der Jungfrau zum Kind nahe. Columbus hat schliesslich 18 Stürmer unter Vertrag, während Steiner bloss Probant ist. Ist Steiner also verrückt? Vielleicht. Doch bei einem Künstler zählt nicht immer nur rationales Handeln, sondern auch Intuition. Manchmal geht Probieren bekanntlich über Studieren. Zudem will sich Steiner nicht das Leben lang den Vorwurf machen müssen, es nicht versucht zu haben. Also liebe Blue Jackets, hier kommt der mutige Abenteurer Steiner, ohne etwas zu verlieren zu haben. Denn bei einer Rückkehr nach Europa dürfte der Ex-Langnauer neben einem Abenteuer im Rucksack einen guten Vertrag bei NLA-Spitzenteams erhalten können. Sein Ziel dürfte es aber sein, einen Zweiweg-Vertrag zu erhalten, selbst wenn er sich dann schlimmstenfalls die gesamte Saison in der AHL empfehlen müsste. Und vielleicht wird er ja doch alle überraschen.

Mark Streit (New York Islanders)

Mark Streit muss man Schweizer Eishockey-Fans kaum mehr vorstellen. Nach seiner hervorragenden NLA-Karriere und einem missglückten ersten Nordamerika-Intermezzo vor genau zehn Jahren hat Streit den NHL-Durchbruch mehr als geschafft. Letzte Saison war er bei den New York Islanders, einem Team ohne viele Sternchen, der grosse Star. Mit 16 Toren und 40 Assists in 74 Spielen war er als Verteidiger Topscorer und holte damit pro Spiel fast gleich viele Punkte wie das Jahr zuvor in Montréal, wo er zumeist als Stürmer agierte. Die hohen Erwartungen und der hohe Druck – auch in Form eines hohen Salär – die als Verteidiger-Quarterback in ihn gesetzt wurden, hat Streit erfüllt. Als Einzelspieler kann Streit kaum viel mehr glänzen als er dies bisher tat und damit zum besten Spieler seines Teams ernannt wurde. Aber er könnte noch einen weiteren Schritt machen und vom Star zum Franchise-Spieler werden, der seine Mitspieler mitreisst und weiterbringt. Dazu braucht es natürlich eine gewisse Klasse im Kader. Mit dem Nummer-1-Draft John Tavares hat er im Sturm einen entsprechenden Teamkameraden mit Potenzial erhalten. Werden die beiden Spieler so gut harmonieren, dass Streit den 18-Jährigen mit portugiesischen und polnischen Wurzeln zur Tormaschine „füttern“ kann? Dann hätten die Islanders durchaus das Potenzial, vom Schlusslicht zum Playoff-Anwärter zu werden. Und Streit die Chance, seine Punkteproduktion noch weiter zu steigern.

Yannick Weber (Montréal Canadiens)

Nach zwei erfolgreichen Jahren im kanadischen Juniorenhockey begann für den Verteidiger Yannick Weber die Profikarriere in der Organisation der Montréal Canadiens, die ihn 2007 in der dritten Runde gedraftet hatten. Die erste Saison war für Weber erfolgreich. Er wurde zwar anfänglich in die AHL geschickt, spielte jedoch bei den Hamilton Bulldogs eine wichtige Rolle und konnte sich für Auftritte in der NHL empfehlen. Gegen Ende Saison bestritt er sechs NHL-Spiele (ein Tor, zwei Assists) für die Canadiens, davon gar drei in den Playoffs. Webers Rolle erinnert an jene von Mark Streit drei Jahre zuvor. Weber wurde mit seinem satten Schuss als Powerplay-Scharfschütze an der blauen Linie, ansonsten als Flügelstürmer eingesetzt. Nachdem er diese Rolle in den Playoffs bekam, wäre es denkbar, dass er nun von Beginn an mit diesem Auftrag im Kader bleibt und zu dem wird, was den Canadiens und ihren Fans letzte Saison fehlte: ein Streit-Nachfolger. Ein zweiter Streit ist Weber zwar zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht, doch er wird von Beginn an um einen Stammplatz kämpfen. Das Problem: Montréal hat sieben Verteidiger, die auf dem Papier in der Hierarchie vor Weber stehen. Er braucht damit ein starkes Camp, viel Vertrauen und vielleicht auch eine Prise Glück.

Die Nordamerika-Junioren

Während die meisten Schweizer Junioren sich in der Schweiz ausbilden lassen und ihre Profireife holen, gingen zuletzt vermehrt junge Schweizer im Teenager-Alter nach Nordamerika.

Luca Cunti (Rimouski Oceanic) und Dominik Schlumpf (Shawinigan Cataractes) werden eine weitere Saison in der franko-kanadischen QMJHL, eine der drei grossen kanadischen Juniorenligen, einlegen. Der Berner Alain Berger spielt neu bei den Oshawa Generals in der OHL. Nino Niederreiter, die grosse Schweizer Draft-Hoffnung für 2010, hofft sich, seine NHL-Chancen in der WHL bei den Portland Winterhawks zu verbessern.

Angespornt werden sie vom Beispiel Luca Sbisa, denn vor ihm hatten nur Schweizer Spieler den NHL-Durchbruch geschafft, nachdem sie in der NLA zum Spitzenspieler gereift sind.

Deutschland

Mit Reto Pavoni hat es bereits ein Schweizer Torhüter, der in der NLA ohne Job dastand, versucht. Nun verschwand Lars Weibel vom drohenden Reservistendasein in Zug und schloss sich den Kölner Haien an. Die Haie haben eine desaströse Saison hinter sich. Der jahrelang meistbesuchte deutsche Sportclub ausserhalb des Fussballs spielte derart schwach, dass ihm nicht nur die Fans davonliefen, sondern auch die Playoffs verpasst wurden und man im Sommer finanziell am Abgrund stand. Nun soll und muss alles besser werden. Dafür gab es Wechsel, auf der Torhüterposition entschied man sich für Lars Weibel. Bislang klappt es gut: Die Kölner liegen plötzlich an der Tabellenspitze. Weibel bestritt alle vier Spiele und kam zu drei Siegen. Von seinen Teamkameraden und in der deutschen Presse gibt es viel Lob. Ob Weibel nun zum DEL-Star wird, nachdem es in der NLA zuletzt nicht lief?

Russland

Martin Gerber wird der vierte Schweizer, der sich in der höchsten russischen Liga versucht. Paolo Della Bella (Magnitogorsk), Pauli Jaks (Omsk) und Patrick Fischer (St. Petersburg) erhielten zwar kaum Eiszeit, Della Bella holte sich jedoch einen Meistertitel als Backup-Goalie. Nun könnte Gerber nach sechs Jahren in der NHL der erste Schweizer werden, der es in Russland zum Star schafft. Der Moskauer Vorortsclub Atlant Mytischtschi hat ihn geholt, um auch nach dem Abgang des ehemaligen Gerber-Konkurrenten Ray Emery an der Spitze der KHL zu bleiben. Die Erwartungen sind auch in Russland hoch. Der Grat zwischen einem hoch bezahlten KHL-Star und einem nach Hause geekelten Flop-Spieler ist oft schmal. Wieso ging Gerber überhaupt so ein Abenteuer ein, wenn er auch Backup der Pittsburgh Penguins hätte werden können? Einerseits kann er als Stammtorhüter mehr bewirken, zumal er mit 35 Jahren auch nicht mehr der Jüngste ist. Auch sein Salär ist wesentlich höher. Durch die Steuervorteile ist ein russisches Salär fast das Doppelte eines gleich hohen NHL-Salärs wert. Und dann ist wohl einfach die Abenteuerlust, in Richtung Karrierenende noch etwas Neues zu entdecken, nachdem er mit der NHL, der Schweiz und Schweden schon drei der weltbesten Ligen durch hat. Nachdem er in der NHL unter Formschwankungen litt, muss er in der fremden, russischen Kultur umso mehr Nervenstärke zeigen.

Schweden

Severin Blindenbacher kam beim Färjestads BK in Schweden unter Vertrag, wo er bereits der dritte Schweizer der Clubgeschichte wird. Marcel Jenni hat jahrelang seine Spuren in Karlstad hinterlassen, Martin Gerber hexte den Club in seiner einzigen Schweden-Saison zum Meistertitel – und machte die NHL auf sich aufmerksam. Ob dies auch „Blindi“ gelingen wird? Zumindest konnte er letzte Saison bereits die Champions Hockey League als Rampenlicht nutzen, um vom Färjestad-Management hoch eingestuft zu werden für einen Transfer. Vom Schweizer Nationalverteidiger wird daher eine Leistung für die Top-4 in der Verteidigerhierarchie erwartet. Oder bestenfalls, dass man ihn einst Abwehrchef nennen wird.

Vor zwei Jahren ist ein Junior namens Tim Weber von Bern in die schwedische Provinz nach Örnsköldsvik ausgewandert. Dort, wo einst die Karriere des grossen Peter Forsberg begann, der sich mit dem dortigen Club MODO Hockey ein mögliches Comeback vorbereitet. Weber, der nie eine Junioren-Weltmeisterschaft bestritt, spielte dort zwei Jahre mit den Junioren und kam letzte Saison auch zu neun Spielen mit den Profis in der Elitserien. Folgt nun der nächste Schritt? Der 19-Jährige ist als einer von 13 Kaderstürmern gelistet und hat die Vorbereitung mit der ersten Mannschaft absolviert. Er dürfte somit vermehrt zum Einsatz mit den Profis gelangen und auf seinen Durchbruch hoffen.

Der 20-jährige Verteidiger Marc Wolf versucht sein Glück ebenfalls in Schweden. Nachdem er zuvor bei den Junioren von Frölunda gespielt hatte, unterschrieb er für ein Jahr beim drittklassigen Profiteam Kungälvs IK.